Stephan Marienfeld: Die Kunst des Bildhauers: Skulpturen zwischen Bondage, Dislikes und Cans
Seit vielen Jahren prägt Stephan Marienfeld die zeitgenössische Bildhauerei mit seinen charakterstarken Skulpturen, die durch Volumen, Materialität und Wahrnehmung eine besondere Präsenz entfalten. Im STILPUNKTE-Interview gibt der Künstler persönliche Einblicke in seine Laufbahn, spricht über prägende Einflüsse und Inspirationsquellen und erläutert die Gedanken hinter seinen bekannten Werkreihen wie Bondage und Cans, die sein künstlerisches Schaffen bis heute maßgeblich bestimmen.
STILPUNKTE: Sie zählen zu den deutschlandweit viel beachteten Künstlern. Wer hat Sie beeinflusst?
Stephan Marienfeld: Da gab es einige Kunstschaffende, wie beispielsweise Hede Bühl. Die ehemalige Meisterschülerin von Joseph Beuys hatte auf mich einen großen Einfluss, ebenso wie Max Bill, dessen großes Werk „Kontinuität“ ich als 16-Jähriger in Frankfurt gesehen habe. Wichtig für mich war auch der Bildhauer Constantin Brancusi. Ich weiß, dass er seine Bronzen zum Polieren immer noch mal in den Arm genommen hat, als ob sie seine Kinder wären. Ein schöner Gedanke, wie ich finde.
STILPUNKTE: Ihre Laufbahn haben Sie als Assistent von Sir Anthony Cragg begonnen. Hat auch er Sie geprägt?
Stephan Marienfeld: Sicherlich hat Tony Cragg mich stark geformt. Interessant war für uns beide, dass wir unterschiedliche Ansätze im Schaffensprozess haben. Denn ich, als gelernter Steinbildhauer, gehe anders vor als Tony Cragg, der Plastiker ist. Ich arbeite von einem Quader zur Kugel. Ein Plastiker hingegen ergänzt, wie bei der Arbeit mit Ton, das Material von einer Lage zur anderen. Wesentlich war für mich, dass er mir beigebracht hat, wie man mit Volumen arbeitet. Er zeigte mir, wie Formen noch präsenter werden, indem ihre Ausmaße vergrößert werden. So schaffe ich heute hoffentlich ein gutes Proportionsverhältnis von Höhe, Breite und Tiefe in meinen Arbeiten, was ein Werk stimmig wirken lässt.
STILPUNKTE: Wie erreichen Sie diese Wirkung?
Stephan Marienfeld: Da steckt die Arbeit im Detail. Denn gerade bei meinen runden Werken möchte ich erreichen, dass sie so natürlich unnatürlich aussehen, wie es nur geht. Sodass eben nicht der Eindruck von einem Luftballon entsteht, der geschnürt wird, wie bei meiner Bondage-Reihe. Aber es soll eben ein wenig übertrieben und unnatürlich wirken, so dass ein Gefühl aufkommt, dass sich jemand mehr Gedanken gemacht hat, als die Natur es tut. Wobei die Natur – in meinen Augen – immer die bessere Bildhauerin ist.
STILPUNKTE: Mit welchen Materialien arbeiten Sie am liebsten?
Stephan Marienfeld: Für jeden, der mit der Kunst anfängt, sind Materialien sehr wichtig. Für mich war es zu Beginn unerschwinglich, eine Bronze zu finanzieren. Daher habe ich andere Materialien wie Stein, Polyester und Gipse genutzt. Die erste große „Bondage“ entstand daher aus Gips und Styropor. Heutzutage habe ich die Freiheit, mit den unterschiedlichsten Materialien zu arbeiten – je nach Stimmung und Ausdruck, den ich erreichen möchte.
STILPUNKTE: Woher nehmen Sie Ihre Inspirationen?
Stephan Marienfeld: Sicher haben Familie, Beziehungen und Freunde einen Einfluss auf meine Kreativität. Ich finde, Kunst ist wie ein Tagebuch zu sehen. Darin reflektieren wir unsere Gedanken. Aber ich lasse mich auch von den Materialien im Atelier inspirieren, experimentiere mit ihnen und schon entsteht eine Arbeit, die später hoffentlich die Betrachter emotional bewegt. So hatte ich zuletzt eine interessante Begegnung mit einem befreundeten Sammler. Er zog bei meiner Arbeit „Twist“ einige Parallelen zu seinem Beruf, der ihn oft zwingt, sich zu verbiegen. Ich finde es spannend, wenn Menschen mir sagen, was meine Werke in ihnen auslösen. Besonders berührt hat mich die Erzählung einer Frau, die mir von einer überstandenen Lebenskrise berichtete und sich in der Werkreihe Cans wiederfand. Sie fühlte sich in ihrem Körper wie die hochglanzpolierte Dose, die nun eine Prägung hat.
STILPUNKTE: Sie sind seit fast vier Jahrzehnten in der Kunstszene.
Was hat sich verändert?
Stephan Marienfeld: In der Öffentlichkeit werden eher die Veränderungen in der Malerei diskutiert. Nach meiner Wahrnehmung sind wir als Bildhauer die Stiefkinder der Kunst. Das finde ich schade. Deswegen bin ich meinem Lehrmeister Tony Cragg dankbar, der durch seine hohe Präsenz die Bildhauerei wieder mehr ins Zentrum der Kunstwelt gerückt hat. So scheint die dreidimensionale Kunst wieder beliebter zu werden, obwohl es kaum noch Bildhauerei gibt, die keinen Installationscharakter hat.
STILPUNKTE: Sie wurden schon häufig ausgezeichnet.
Wie wichtig ist Ihnen die öffentliche Wertschätzung?
Stephan Marienfeld: Mich macht glücklich, dass ich in der Bildhauerei meinen Beruf und meine Leidenschaft zur Kunst gefunden habe, ohne Auftragsarbeiten annehmen zu müssen. Dies habe ich nur zweimal für Freunde gemacht. Daher bin ich ehrfürchtig und dankbar, dass ich so viel Wertschätzung von meinen Sammlern, Galerien und Museen erfahre, die mich schon seit langem in Kollektionen zeigen.
STILPUNKTE: Sie hatten vor einigen Jahren eine Lehrtätigkeit.
Was haben Sie den jungen Talenten mit auf den Weg gegeben?
Stephan Marienfeld: Mir war wichtig, ihnen zu vermitteln, dass es Durchhaltevermögen in der Kunst braucht. Nicht jeder wird nach drei Arbeiten gleich berühmt, sondern nur mit viel Fleiß können die Früchte einmal geerntet werden. Ebenso sollte das Schaffen einem roten Faden folgen, an dem man sich immer orientiert und der eine künstlerische Identität verleiht.
STILPUNKTE: Woran arbeiten Sie gerade?
Stephan Marienfeld: Derzeit habe ich zwei Ausstellungen in der Vorbereitung. Dabei nehme ich mir aber auch immer Zeit für Neues. So experimentiere ich gerade mit Oberflächen. Dazu behandle ich Bronzen mit Säure. Die Spuren, die sie auf dem Hochglanz-Material hinterlässt, erinnern mich daran, wie beispielsweise das Wetter die Oberflächen beeinflusst. Es wirkt wie Malerei. Für mich ist das ein spannender Prozess und völlig neu.
STILPUNKTE: Wie geht es mit ihren Werkreihen weiter?
Stephan Marienfeld: Ich denke gerade darüber nach, sie zu begrenzen. Denn nach meinem Gefühl sind sie vielleicht zu viel geworden. Aber ich möchte mich auch nicht in meiner Kreativität selbst einschränken. So könnte es sein, dass ich zu meinen Wurzeln, der Werkreihe Bondage, zurückkehre. Denn nach meinem Empfinden ist das Thema nicht „auserzählt“. Viele Künstler, wie zum Beispiel Gerhard Richter, arbeiten mit Zyklen, die sie abarbeiten, ehe sie etwas Neues anfangen. Bei mir überlappt sich das immer.
STILPUNKTE: Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Stephan Marienfeld: Zuversicht, gerade in diesen Zeiten. Mich persönlich macht glücklich, dass ich die letzten vierzig Jahre als Bildhauer arbeiten durfte. Wenn ich mich umschaue, denke ich, dass die Generation unserer Kinder derzeit vor besonderen Herausforderungen steht. Daher wünsche ich ihnen Vertrauen in die Zukunft.
Stephan Marienfeld
KünstlerKurzbeschreibung über Stephan Marienfeld
1966: geboren in Hattingen/Ruhr
1984-1989: Ausbildung zum Steinbildhauer
1989-1999: Assistant von Tony Cragg
seit 1999: International tätig als freischaffender Künstler
Der heute 58 jährige Künstler wurde in Hattingen geboren, entdeckte seine Leidenschaft für die Kunst und startete seine Laufbahn zunächst als Steinbildhauer. Zur Jahrtausendwende machten ihn seine charakteristischen Bondage-Skulpturen bekannt. Eingeschnürt mit starken Seilen spielen die Arbeiten mit der Wahrnehmung des Betrachters. Denn das harte Material tritt scheinbar weich und rund durch die Schnürungen hervor. Was ist Illusion oder Realität?
Diese Frage stellte sich sicher auch das Publikum der Biennale von Venedig im Jahr 2019. Denn der Blickfang am Palazzo Mora waren geschnürte runde Objekte in leuchtenden Farben, gefesselt an eine Palme und an einen Balkon. Sie entstammten der Kollektion „Dislikes“ und bescherten dem Künstler Anerkennung auch auf internationaler Bühne.
Eine neue Richtung schlug Stephan Marienfeld mit seiner Skulpturen-Serie Cans ein. Die Werke entfalten durch ihre Knicke und Beugungen im hochglanzpolierten Edelstahl eine besondere Dynamik und faszinieren mit ihren Reflektionen – facettenreich und überraschend.
Vielen Dank für Ihren Kommentar
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